Diese Checkliste richtet sich an Menschen, die in der ehrenamtlichen Sterbebegleitung tätig sind.
Wenn Sie sich nach einem Besuch hilflos und ermattet fühlen, haben Sie sich möglicherweise im Leben und Leiden des anderen verfangen. Dann ist es gut, innezuhalten und die Art des Helfens, die Gestaltung der Beziehung oder Ihr Angebot zu überdenken. Die Checkliste bietet Ihnen Haltepunkte an.
Kraft
Sie verlieren in der Begegnung an Kraft.
- Ist Ihnen Absichtslosigkeit gelungen? Verfolgen Sie eigene Absichten, wenden Sie hierfür Kraft auf. Ein Beispiel wäre die gut gemeinte Aufforderung an einen Appetitlosen: „Nun essen Sie doch ein bisschen…“
- Sind Sie über Ihren Auftrag hinaus tätig geworden? Sprechen Sie Ihr helfendes Tun mit dem Hilfeempfänger ab. So respektieren Sie seine Selbstbestimmung und belasten sich nicht mit fremder Verantwortung.
Freude
Ihre Freude an der Hospizarbeit lässt nach.
- Gehen Sie mit Ihrem Hilfsangebot über Ihre Grenzen? Dann reagieren Sie vielleicht mit Unlust. In der Hospizarbeit ist es wichtig, neben der Zeit, die Sie spenden, ausreichend Zeit für die eigene Erholung zu haben.
- Helfen Sie aus einem erfüllten Leben heraus? Eine gute Grundlage dafür, anderen dauerhaft helfen zu können, ist die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse. Anderenfalls kann der gefürchtete Burnout drohen.
- Wissen Sie, was genau Ihnen die Freude raubt? Gehen Sie dieser Frage auf den Grund oder erbitten Sie eine Supervision. Wenn Sie Klarheit über den Ursprung der „Unlust“ haben, können Sie etwas verändern.
Leichtigkeit
Zwischen Ihren Besuchen denken Sie ständig an Ihre Begleitung.
- Ist Ihr Beistand unentbehrlich geworden? Fragen Sie sich, ob das Helfernetz vergrößert werden kann. Vielleicht kann ein Hospizkollege Ihre Begleitung ergänzen.
- Bedrängt Sie die große Not des Besuchten? Informieren Sie Ihre Hospizkoordinatoren. In Rücksprache mit den Betroffenen organisieren diese Helfer, die sich auf Palliative Care spezialisiert haben.
- Empfinden Sie sich zunehmend als Freund und nicht als Begleiter? Wenn der Begleitete Teil Ihres Lebens geworden ist, geraten Sie selber in einen Trauerprozess. Versuchen Sie sich darauf auszurichten, dass Sie vorübergehend und nur zu Gast im Leben des anderen sind.
- Erinnert die Hospizarbeit Sie an persönliches Leid? Nehmen Sie Ihre Gefühle ernst und wenden Sie sich liebevoll auch Ihrem Leid zu. Räumen Sie sich Zeit ein. Tun Sie, was Ihnen gut tut: Bitten Sie jemanden um Beistand oder Rat, empfangen Sie Trost über Rituale oder Gebete, gönnen Sie sich eine Auszeit…
Nähe
In der Begleitung stellt sich die gewohnte Nähe nicht ein.
- Fühlen Sie sich durch die fehlende Nähe zurückgewiesen? Der Rückzug eines Sterbenden kann Teil seines Abschiedsprozesses sein. Bleiben Sie trotz der Zurückweisung offen für die Begegnung. Es kann den Begleiteten erleichtern, dass er sich Ihnen zumuten kann.
- Gehen Sie auf den Wunsch nach Distanz ein? Wenn Sie signalisieren, dass der Begleitete Sie wieder wegschicken kann, wenn er alleine sein möchte, fühlt er sich von Ihnen angenommen. Ihr Verständnis ist ein Baustein einer vertrauensvollen Beziehung.
- Verliert sich Ihre Vertrautheit? Wird Ihr Gespräch zunehmend oberflächlich? Möglicherweise müssen Missverständnisse ausgeräumt werden. Fragen Sie den Begleiteten, wie er Ihre Hilfe erlebt und was er sich von Ihnen wünscht.
Lebendigkeit
In der Begleitung erleben Sie Schwere, Leere oder Langeweile.
- Haben Sie die Trauer des Begleiteten übernommen? Versuchen Sie die Gefühle nicht als eigene, sondern als nonverbale Botschaft des anderen zu verstehen: „Ich bin unendlich traurig.“ „Ich trage eine zu schwere Last.“ Wenn Sie diese Gefühle anerkennen, kann die Atmosphäre wieder an Lebendigkeit gewinnen.
- Sind Sie überfordert? Können Sie sich nur schwer auf den Begleiteten einlassen und schweifen Ihre Gedanken unabsichtlich ab, kann das ein Zeichen für Überforderung oder Erschöpfung sein. Legen Sie noch während des Besuchs eine kleine Pause ein (Verlassen Sie zum Beispiel vorübergehend das Zimmer) oder kürzen Sie Ihren Besuch ab.
Gelassenheit
Es fällt Ihnen schwer, vorbehaltlos wertschätzend auf alle Beteiligten zu reagieren oder Sie reagieren auf Begleitumstände mit (heftiger) Ablehnung.
- Ärgern Sie Werte, der Lebensstil oder der Umgang eines Beteiligten mit der Situation? Fragen Sie sich, welche Ihrer Interessen dadurch berührt sind und bitten Sie um Supervision.
- Ergreifen Sie gegen einen Beteiligten Partei für einen Notleidenden? Versuchen Sie zu klären, wann Ihr Auftrag Ihr Eingreifen vorsieht und wann Ihr Auftrag darin liegt, den anderen in seiner leidvollen Erfahrung zu begleiten.
- Werten Sie eine beteiligte Person ab? Versuchen Sie sich zu besinnen: Nur Ihr umfassender Respekt für alle Beteiligten erlaubt es Ihnen das Leben und Sterben eines Fremden zu begleiten.
- Begegnen Ihnen in der Begleitung Konflikte, die eine biografische Nähe zu Ihrem Leben haben? Wenn Sie merken, dass Sie das nicht aushalten, sind Sie frei, die Grenzen Ihrer Unterstützung neu zu definieren.
Selbstsicherheit
Es plagen Sie Zweifel,ob allein Ihr Dasein ausreicht.
- Sind Sie unter Druck etwas sichtbar Hilfreiches tun zu müssen? Halten Sie inne und besinnen Sie sich auf die Stärke der ehrenamtlichen Sterbebegleitung. Erbitten Sie ein Feedback darüber, was Ihr Dasein für den anderen bedeutet.
- Neigen Sie dazu Betroffene ungefragt zu beraten? Bedenken Sie, dass Sie nicht gleichzeitig mitmenschlich und auf Augenhöhe begleiten und „mit besserem Wissen“ beraten können. Vertrauen Sie darauf, dass es Ihr mitmenschlicher Beistand und nicht Ihr Rat ist, der unersetzlich ist.
Geborgen im eigenen Leben
Der Gedanke, den Begleiteten und seine Familie eines Tages wieder verabschieden zu müssen, bedrückt Sie sehr.
- Haben Sie die Begleiteten wie Freunde ins eigene Leben aufgenommen? Sterbende müssen alle Bindungen lösen. In der Bereitschaft selber los zu lassen, werden Sie dem Prozess des Abschieds am ehesten gerecht.
- Erleben Sie ausreichend Halt und Nähe in Ihrem Freundeskreis? Beständige Freundschaften erleichtern die Abschiede von den Begleiteten. Die eigene Hospizgruppe ist ein kostbarer Ort, um neue Freundschaften aufzubauen.
- Erkennen Sie, wo sich Ihre Bedürfnisse in der Begleitung zeigen? Besonders bei großer Nähe hilft gelegentliches Innehalten um zu erkennen, wo eigene Bedürfnisse, Gefühle, Werte und Wünsche in die Hilfe einfließen.
- Leiden Sie mit dem Anderen? Identifizieren Sie sich mit dem anderen, können Sie das Eigene von dem Fremden nicht mehr unterscheiden. Verstrickt in der Trauer des anderen können Sie keinen Beistand leisten.
- Sind Sie gekränkt über mangelnde Dankbarkeit oder Anerkennung? Haben Sie Gedanken oder Forderungen wie „Erkenne an, was ich leiste!“, „Sei dankbar!“ wird aus Ihrem Dienst ein „diene du mir“. Holen Sie sich Supervision und klären Sie Ihren Groll. Sie sind frei zu entscheiden, ob Sie die Begleitung fortsetzen.