Nichts ist so sicher, wie der Tod, in den hinein wir alle sterben werden. Doch wie läuft der körperliche Sterbeprozess eigentlich ab?
Die meisten Menschen sterben verborgen in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Nur wenigen ist es vergönnt häuslich und in der familiären Gemeinschaft zu versterben. So sind wir nur selten mit den natürlichen Veränderungen in den letzten Lebenswochen, Tagen und Stunden vertraut.
Sterbevorgänge kennen wir eigentlich nur noch aus dem Fernsehen. Hier sterben tagtäglich zahlreiche Bösewichte und Helden direkt vor unseren Augen. Sie sinken darnieder und befinden sich nur wenige Augenblicke später überraschend friedlich in den Armen eines Anderen. Hier hauchen sie letzte wichtige Worte. Dann verdrehen sie hoffnungsvoll ihre sich brechenden Augen himmelwärts. All dies beunruhigt uns wenig und stört unsere Nachtruhe nicht.
Der reale Abbau am Lebensende hingegen kann uns fremd und rätselhaft erscheinen, auch erschrecken und verunsichern. Wollen wir Sterbende einfühlsam begleiten, hilft es uns, wenn wir die körperlichen und geistigen Veränderungen am Lebensende verstehen.
Einen plötzlichen Tod, das wünschen sich Viele. Doch der Wunsch geht nur für 5% in Erfüllung. Diese Menschen sterben zum Beispiel an einem akuten Herzinfarkt.
Meist jedoch versterben wir an unheilbaren chronischen Leiden, wie Herz-Kreislauferkrankungen, Parkinson, Tumorerkrankungen und Demenz. Die Symptome dieser Erkrankungen verschlechtern sich zunächst schleichend über Jahre. Zunehmend jedoch zehren sie (zusammen mit nebenwirkungsreichen Therapien) unsere Lebenskräfte auf. Schließlich versagt eines oder mehrere Organe, was zum Tode führt. Sterben bedeutet also zunächst einmal Leben! Die letzte nicht unerhebliche Lebenszeit kann in drei Phasen eingeteilt werden. Dabei folgen die ersten beiden Phasen nicht unumkehrbar aufeinander. Denn die zweite, die terminale Phase kann erneut in die erste, die palliative Rehabilitatsphase zurückkehren. So gibt es selbst in Hospizen einzelne Gäste, die vorübergehend stabilisiert und gebessert wieder ausziehen.
Palliative Rehabilitationsphase
Am Anfang befinden wir uns in einer monate- und jahrelangen palliativen Rehabilitationsphase. Therapeutische Maßnahmen können jetzt keine Heilung mehr erzielen. Durch therapeutische Maßnahmen, insbesondere aus dem Bereich der Palliativmedizin, ist uns aber auch bei schweren Erkrankungen eine weitestgehend normale aktive Lebensgestaltung möglich. Diese Lebensphase wird oft zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben und Sterben genutzt. Wie möchte ich leben? Was möchte ich noch machen? Das sind Fragen, die jetzt in den Vordergrund rücken und zu einer neuen Freiheit und Lebensqualität führen können. Dabei können Versäumnisse sowohl zum schmerzhaften Antrieb für Veränderungen führen, wie auch zu Trauerprozessen, die ausgehalten und durchlebt werden müssen.
Terminale Phase
Wenn Wochen bis Monate vor unserem Versterben die Einschränkungen deutlicher werden, gehen wir in die terminale Phase über. Die Palliativpflege zusammen mit der Palliativmedizin kann belastende Symptome weiterhin gut lindern. Doch unsere Lebensphase ist nun gekennzeichnet von körperlicher Schwäche und zunehmenden Hilfebedarf.
Zunächst sei gesagt, dass häufig neu aufgetretene Symptome Teil des körperlichen Abbauprozesses sind. Zu beachten ist aber immer die Möglichkeit, dass Symptome auch durch Medikamentenwechsel- oder Nebenwirkungen hervorgerufen werden können! Das hätte therapeutisch gesehen natürlich völlig andere Konsequenzen und sollte daher immer abgeklärt werden.
In der terminalen Phase verändert sich unser Stoffwechsel. Er passt sich an den Abschied an und unser Körper beginnt auf die eigenen Reserven zurückzugreifen. Es kann zu Gewichtsverlust, Auszehrung, Leistungsabfall, Bewegungseinschränkungen und einer ausgeprägten Schwäche kommen. Auch die Magen-Darmtätigkeit kann abnehmen. Der verminderte Appetit ist daher meist eine „gesunde Anpassung“ an die aktuellen Möglichkten des Körpers. Er sollte nicht durch gut gemeinte Versuche gestört werden, den Anderen zur Nahrungsaufnahme zu überreden! Denn das kann für den Abschiednehmenden sehr quälend sein. Die Nahrungsaufnahme kann nämlich körperlich belasten, zu Übelkeit und Erbrechen führen und den Sterbeprozess erschweren. So ist es auch eine sinnvolle körperliche Reaktion, wenn schließlich appetitanregende Maßnahmen wie Cannabisprodukte oder Cortison immer weniger helfen.
Auch können wir unter Schmerzen, Angst, Schlafstörungen und Unruhe leiden. Starke Schmerzen werden dabei als eines der schlimmsten Symptome gefürchtet, die ein Mensch haben kann. Durch die Schmerztherapie und begleitende Maßnahmen, wie entlastende Gespräche, die dem Menschen als Gesamtheit gerecht werden, können Schmerzen heute in aller Regel gut gelindert werden. In der Schmerztherapie kommt es aber elementar auf die individuell richtige Darreichungsform, die Medikamentenzusammenstellung und Dosierung an. Daher gehört die Schmerztherapie am Lebensende in die Hände von ausgewiesenen Experten, wie Schmerztherapeuten und Palliativmedizinern, die alle Besonderheiten des Einzelfalls im Blick haben.
In der terminalen Phase wird sich unser Ruhebedürfnis meist erhöhen. Von diesem allgemeinen Abbauprozeß, wie von längerer Bettlägerigkeit, kann unsere Atemmuskulatur geschwächt sein. Selbst das Ein- und Ausatmen kann uns schwerfallen, denn auch die Atemmuskulatur leidet unter der zunehmenden Schwächung. Wir erleben ein Gefühl von „Lufthunger“, das aber durch Sauerstoffgaben allein nicht vergeht. Die Ursache für unseren Lufthunger ist nämlich der zu hohe Kohlendioxidgehalt im Blut, der im Gehirn registriert wird. So profitieren wir nun von Maßnahmen, die auch das Ausatmen unterstützen und uns insgesamt entspannen. Dazu gehören Atemtherapie, eine entlastende Lagerung und ein mitmenschlicher Beistand, der Ruhe und Frieden vermittelt. Zudem lindern Medikamente wie Morphium das Empfinden von Atemnot deutlich!
Schließlich reagieren wir am Lebensende oft mit seelischen Prozessen. Lebensthemen und Interessen können sich verändern und Fragen der Sinnfindung können in den Vordergrund rücken.
Wer soll mich in den letzten Tagen und Stunden einfühlsam begleiten und pflegen? Spätestens die Zeit in der terminalen Phase sollte dazu genutzt werden dies zu klären und zu organisieren! Tritt erst die finale Phase ein, werden andere darüber entscheiden müssen.
Abschließend zur terminalen Phase sei noch tröstlich betont: Jede und Jeder muss das Sterben selbst bewältigen. Doch wir profitieren in dieser Zeit in aller Regel sehr von den Segen der palliativen Medizin, von einer palliativen Pflege wie von der seelischen Begleitung zum Beispiel durch einfühlsame Angehörige und haupt- und ehrenamtliche Hospizmitarbeiter!
Finale Phase
Die letzten Lebenstage und Stunden werden finale Phase genannt. Die Dauer dieser Phase hängt davon ab, welches Organ führend ist, dass heißt welches Organ seine Funktion am ehesten einstellen wird. Dieser Prozess ist unumkehrbar. Unser Abschied vom Diesseits hat nun unwiderruflich begonnen. Diese Zeit geht häufig mit starken Veränderungen einher, die eher plötzlich beginnen. Manchmal beginnt die finale Phase mit einem akuten Ereignis, wie einem Schlaganfall oder einer Lungenembolie. Häufiger jedoch tritt Schwäche in den Vordergrund und die Beschwerden nehmen zu. Können wir die Veränderungen nicht einordnen werden wir vielleicht erschrecken und uns überfordert fühlen. Nicht selten erfolgt dann eine unnötige Krankenhauseinweisung, die ein ruhiges Abschiednehmen erschweren kann.
Eventuell sind die Aufnahme von Flüssigkeit und das Schlucken nicht mehr möglich. Als Angehörige sind wir oft in Sorge, weil wir befürchten, dass unsere Angehörigen verdursten. Eine gute Mundpflege, die sich Angehörige vom Palliativpflegedienst zeigen lassen sollten, ist nun sehr viel segensreicher als eine Infusion von größeren Mengen an Flüssigkeit! Stellen unsere Nieren nämlich ihre Tätigkeit zunehmend ein können wir die Flüssigkeitsgaben nicht mehr (vollständig) ausscheiden. Im Körpergewebe eingelagertes Wasser aber belastet den Sterbeprozeß zusätzlich. Wird die Flüssigkeit beispielsweise in der Lunge eingelagert, so erschwert dies die Atmung. Wenn unser Schluckreflex nachlässt oder erloschen ist, kann sich Speichel sammeln und Geräusche hervorrufen. Wir hören eine Rasselatmung, die zwar laut sein kann, aber kein Zeichen von vermehrtem Leid mit sich bringt. Lagern wir unseren Angehörigen seitlich, kann die Flüssigkeit abfließen.
In den letzten Tagen schwindet oft unser Bewusstsein. Es ist verändert und zeitweise eingetrübt. Vielleicht reagieren wir mit Unruhe oder Aggression. Während wir uns nämlich zunehmend vom Diesseits lösen, kann es uns schwerfallen alltägliche Reize wie Licht, Lärm, Berührung, Gerüche… einzuordnen. Unruhe und Verwirrtheit können aber auch durch die Veränderungen im Stoffwechsel hervorgerufen werden, die im Rahmen des endgültigen Funktionsverlustes der Organe auftreten können. Auch seelisch-geistige Such- und Denkprozesse kommen als Ursache infrage. Eine unaufdringliche Geräuschkulisse, sowie eine friedliche Atmosphäre, in der andere mit uns und nicht über uns sprechen wirken beruhigend!
Es kann so wirken, als ob wir unsere Angehörigen nicht mehr erkennen – doch genauso kann es sein, dass wir uns nun auf andere „Wichtigkeiten“ konzentrieren. Angehörige, und alle die Sterbende begleiten, dürfen davon ausgehen, dass die Hörfähigkeit bis zum letzten Atemzug erhalten bleibt und Berührungen wahrgenommen werden.
Menschen, die über eine längere Zeit bettlägerig und bewusstseinsgetrübt sind, verlieren das Gefühl für ihre körperlichen Grenzen. Da der Hörsinn erhalten bleibt, wird es Menschen im Übergang helfen, wenn jede Lagerung und jede pflegerische Tätigkeit mit einfühlsamen Worten und haltgebenden Berührungen ein- und ausgeleitet werden.
In den letzten Stunden sinkt der Blutdruck ab und die Durchblutung unseres Körpers verändert sich. So verringert sich zum Beispiel die Durchblutung der Arme und Beine. Akut sterbend haben wir marmorierte Flecken am Körper und eine blasse Nasenspitze. Durch die Entspannung der Muskulatur zeichnet sich auch ein Mund-Nasen-Dreieck ab. Wärme und Kälte können sich abwechseln und können das achtsame Eingehen unserer Begleiter auf die damit wechselnden Bedürfnisse nach Abkühlung und Wärme erfordern. Schließlich schränken sich unsere Organfunktionen zunehmend ein: Unsere Reflexe lassen nach. Wir verlieren die Kontrolle über das Wasserlassen und den Stuhlgang. Schließlich scheiden wir keinen Urin mehr aus, unser Darm stellt seine Tätigkeit ein, bis letztlich unser Herz, die Lunge und das Gehirn ihre Aktivität einstellen. Während dieser Zeit kann es zu minutenlangen Atempausen kommen, wie zu einer Atmung, die mal tief und dann wieder sehr flach ist (Pendelatmung). Auch unser Herz kann mal schneller, dann wieder ganz langsam schlagen. Die Pupillen reagieren eine halbe Stunde vor unserem Tod nicht mehr auf Licht, sie bleiben weit. Nach unserem Tod setzt eine Entspannung ein, die manchmal noch zu Darmgeräuschen und Entleerung führen oder zu einer reflexiven Schnappatmung.
Die Aufklärung über diese Vorgänge wie auch die Anwesenheit von Menschen, die mit den körperlichen Vorgängen im Sterben vertraut sind, kann segensreich sein. Unterstützt durch dieses Wissen können Angehörige Halt und Zuversicht über Sprache und innere Haltung ausdrücken und vermitteln. Sterben in dieser Weise begleitet zu haben ist für alle Beteiligten nicht nur in den Tagen und Stunden des Abschieds, sondern auch in der Zeit der Trauer bedeutungsvoll und tröstlich!